„Du läufst durch den Wald. Hektisch schwenkt der Lichtkegel deiner Kopflampe durch den seichten Nebel.Es wird kalt sein und wahrscheinlich nass. Du startest wenn es dunkel geworden ist. Das Büchsenlicht zur Jagd auf die Schwarzkittel ist auch noch gut und unsere Jäger alle blind. Du hoffst inständig die nächste Markierung nicht zu übersehen. Dein Ziel wird es sein so schnell wie möglich diesen Wettkampf hinter dich zu bringen. Zur Belohnung darfst du deine Verpflegung auch komplett selber mitschleppen. Wir Helfer liegen nämlich lieber im Warmen. Vielleicht gibt es unterwegs noch ein oder zwei Verpflegungsstationen. Aber das müssen wir noch überlegen 😉
Der KiLL50 mit seinen über 2000 Höhenmetern wird kein Spaziergang. Lange Rampen und steile Anstiege werden von deinen Beinen und von deinem Kopf alles fordern. Im November ist zusätzlich noch das Wetter gnadenlos. Und auch wenn der Weg überwiegend im Wald verläuft, musst du nassgeschwitzt aufs offene Feld hinaus. Der Wind, der Schnee oder der Regen wird die letzte Wärme aus deinen Gliedern ziehen.
Wir freuen uns auf dich!“
Vor über zwei Jahren machten mich Tom Bischoff und Peter Müller heiß auf den KiLL50. Endlich bekam ich meine Chance.
KiLL steht für „Kein idyllischer Landschaftslauf“. 50 für 50 Meilen, also etwa 80 km. Das ganze findet im November statt, wenn man gut mit Kälte und Nässe rechnen kann. Damit man die schöne Landschaft auf der Strecke mit gut 2000 Höhenmeter nicht zu sehr genießen kann, findet das ganze im Dunkeln statt.

Zur Begrüßung bekam ich neben dem Haftungsausschluss auch gleich die Finishermedaille, hier eine BW Hundemarke mit eingeschlagenem Namen. Wer den Lauf nicht beendet, so verlangt es die Tradition, dessen halbe Marke endet an einem kleinen Skelett namens KiLL BiLL 2.0.
Pünktlich um 16:00 Uhr begann Rennleiter Michael mit dem Briefing in der Kulturherberge Wrisbergholzen, dem Start-, Ziel- und zweiten Verpflegungspunkt für die nächsten Stunden. Die Einweisung fiel sehr ausführlich aus. Die Strecke war neu und neben mir waren noch viele andere Ersttäter dabei. Da erst eine Treibjagd stattgefunden hatte brauchten wir weder mit viel Wild, noch mit Jägern rechnen.
Nach dem Briefing ging ich noch schnell meine Ausrüstung durch. Ich hatte nichts zu Hause vergessen. Gut!
Pünktlich um 17:00 Uhr fragte Michael, warum wir denn noch hier seien. Kurz darauf setzte sich die Läuferschar in Bewegung.
Zuerst ging es bergab, gleich auf einen matschigen Pattweg. Wir verließen den Wald und passierten erst Wrisbergholzen, danach Westfeld. Durch die Feldmark begleitete uns der Sonnenuntergang. Die ersten Stirnlampen wurden aktiviert. Ich wartete mit meiner noch um mich besser an die Dunkelheit zu gewöhnen und um die Batterien zu schonen.

Kurz hinter Petze wurde es mir jedoch auch zu dunkel. Ich stellte meine Petzl auf die dunkelste Stufe ein. Das reichte mir vollkommen aus. Der Mond warf ein gutes Licht dazu. Die Streckenmarkierungen waren im Schein der Lampe gut zu sehen.

Ich startete viel zu schnell ins Rennen. Das wurde mir aber erst so richtig bewusst, als ich von Alex Ritter vom TSV Victoria Linden eingeholt wurde. Wir palaverten ein bisschen, doch irgendwann konnte ich sein Tempo nicht mehr sinnvoll halten. Also lies ich ihn ziehen. Das war nach etwa 13 km. Von nun an sollte ich auf mich allein gestellt bleiben.
Ich steckte mir die Kopfhörer meines ausgedienten iPhone 4 in die Ohren. Um mich ein bisschen abzulenken hatte ich mir extra ein Hörbuch mitgenommen. Stephen King als Richard Bachmann. „Todesmarsch“. Genau das richtige für eine Nacht in Bewegung.
Und so lief ich über die hiesigen Trampelpfade auf den Tosmarberg.
Ich schlug das Gipfelbuch ein und freute mich über den Gruß vom Team Raidlight.

Während ich den Eintrag vornahm, würde ich von Peter und Tom überholt, dicht gefolgt von einer ganzen Gruppe Läufern. Ich versuchte mich an die Gruppe dranzuhängen, konnte aber nicht lange mithalten. Und so war ich wieder alleine im Wald.
Irgendwo hinter Diekholzen, vielleicht etwa bei der gedachten Halbmarathonmarke, begann wieder ein schöner Trampelpfad. Diesen musste ich ca. 4 km folgen, ehe es über einen größeren Wirtschaftsweg bergab ging. Am Waldesrand überholte ich einen anderen Teilnehmer. Etwas später stieg er am ersten Verpflegungspunkt aus dem Rennen aus.
Für mich ging es nun aber erstmal weiter Richtung Barfelde. Dort sollte bei der Reservistenkameradschaft Despetal die erste Pause anstehen.

Ich stärkte mich bei Tee, Malzbier und Weihnachtsgebäck und ließ meine Trinkblase nachfüllen. Nebenbei erfuhr ich, dass noch vier Teilnehmer hinter mir wären.
Als Heiner Schütte (100 Marathon Club) das Gebäude betrat, brach ich auf. Die ersten Meter kannte ich vom Zeittunnelmarathon. Nur war die Strecke heute einsam und verlassen.
Ich ließ Barfelde hinter mir. Die nächsten vier Kilometer ging es über Feldwege nach Heinum. Weit hinter mir sah ich eine Lampe. Das musste Heiner sein.
In Heinum passierte ich die Hauptstraße. Es ging bis zum Friedhof leicht bergab. Von nun an sollte es über einen längeren Abschnitt wieder hoch gehen. Am Waldrand blickte ich nochmal zurück. Das Licht sah ich nicht mehr.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich Punkt 23:00 Uhr den 1926 errichteten Tafelbergturm.

Selbstredend nahm ich mir die Zeit, ihn zum zweiten Mal
in meinem Leben zu erklimmen. Die Aussicht über die nächtliche Landschaft war es mir wert.

Endlich ging es wieder bergab. Erstmal. Ich passierte die Marathonmarke gegen 23:39 Uhr. Mehr als die Hälfte lag nun hinter mir. Zur Feier folgte auch sofort wieder ein längerer Anstieg.
Das letzte Stück zur Kulturherberge zog sich.
Nach etwa 8:30 h, ich weiß es nicht mehr genau, erreichte ich endlich den zweiten Verpflegungspunkt.
Zu diesem Zeitpunkt waren die ersten Läufer schon fertig. Drei weitere, darunter Heiner, mussten leider aufgeben. Das könnte man gut an den an KiLL BiLL 2.0 angebrachten Marken erkennen. Nun waren also nur noch zwei Teilnehmer hinter mir. Einer der Finisher erkannte mich wieder. Es war der freundliche Läufer, der mir beim „Lauf, der nie stattfand“ in Runde 2 entgegen kam.

Ich stärkte mich und füllte den Trinkrucksack wieder nach. Dann ging es wieder „back on Track“.
Die zweite Runde führte mich in und um den Sackwald. Nähe einer Schutzhütte bei km 58 kamen mir zwei Läufer entgegen. Da hatte sich wohl wer verlaufen. Gut einen Kilometer später gelang ich an den touristischen Höhepunkt der zweiten Runde. Zur Irminsul bei km 59.
„Sie verehrten auch unter freiem Himmel einen senkrecht aufgerichteten Baumstamm von nicht geringer Größe, den sie in ihrer Muttersprache ,Irminsul‘ nannten, was auf Lateinisch ,columna universalis‘ (dtsch. All-Säule) bedeutet, welche gewissermaßen das All trägt.“
Rudolf von Fulda, 863 n.C.
Den nächsten Kilometer ging es jetzt wieder runter bis zu einem Umspannwerk. Ich schaute zurück und sah zwei Stirnlampen.
Ich lief über eine Wiese und dann wieder in den Sackwald. Nach einer Weile fand ich mich auf der Strecke des Schneewittchen Trails wieder. Nur lief ich entgegen der damaligen Laufrichtung. Des Öfteren hatte ich das Gefühl von den Stirnlampen eingeholt zu werden. Letztendlich war es aber immer der Mond, der jetzt sehr hell leuchtete.
Ich erreichte den unbemannten VP. Nach zwei Bechern eiskalter Cola lief ich sofort weiter. Ich glaubte noch immer meine Verfolger dicht hinter mir zu haben.
Nach einer Weile ging es wieder raus aus den Wald. Das nächste Dorf war nun Sack. Kurz vor dem Ortsschild blickte ich in viele Augenpaare neben mir. Das war zu diesem Zeitpunkt schon recht unheimlich.
Mein Hörbuch war zu Ende und es wurde langsam hell.

Auf dem letzten Kilometer vor der Kulturherberge wurde ich mit dem Sonnenaufgang belohnt. Sowas ist ja an für sich schon schön, aber wenn man die ganze Nacht durchgelaufen ist, nimmt man sowas noch viel intensiver wahr.


Ein paar Minuten später beendete ich mit meinem traditionellen Endspurt den KiLL. Laufzeit 14:25 h.
Im Ziel gönnte ich mir eine leckere Suppe zum Frühstück. Michael verewigte meine Zielzeit auf der Hundemarke. Hier „graviert“ der Chef noch selber. Ohne Aufpreis.

Pünktlich um 10:00 Uhr erfolgte die Siegerehrung. Obwohl man das eher Ehrung aller Teilnehmer nennen konnte. Ganze 40 Minuten erzählte Michael was zu jedem Teilnehmer und überreichte persönlich die Urkunden. Das war mal wieder sehr familiär. Aber letztendlich sind wir Ultraläufer doch auch eine große Familie.

Sieger war übrigens Georg Kunzfeld. Er raste in genau acht Stunden über die Strecke. Meine beiden Verfolger kamen nach 15:14 h ins Ziel.
Zum Abschluss möchte ich mich noch einmal bei allen Therapeuten bedanken. Und natürlich bei Susanne und Michael. Vielen Dank für diesen urigen Lauf!
– Bericht von Frank Jungclaus
– Bericht von Michael Hartmann
– Bericht von leinetal24